Die albanische Hauptstadt Tirana erwartete uns mit einem unvermittelten Charme aus Platte und Moderne und der albanische Lebensstil lässt sich durchaus als liebenswertes Chaos zusammenfassen. Jedoch sollte man sich davon nicht blenden lassen, da der Verkehr anarchistische Züge besitzt und man sich als Fußgänger teilweise wie Freiwild fühlt. Dennoch haben wir uns in der Stadt sehr wohl und willkommen gefühlt, nicht zuletzt aufgrund der immer hilfsbereiten Albaner.
Nach einer etwas abenteuerlichen Busfahrt mit einem spontanen Buswechsel und einem neuen Bus ohne Heckscheibe erreichten wir am späten Nachmittag den internationalen Busbahnhof von Tirana. Wir hatten mal wieder für die Distanz von nur 170 Kilometern mehr als vier Stunden benötigt, wobei der Grenzübertritt von Montenegro nach Albanien reibungslos verlief. Von hier aus hatten wir glücklicherweise nur einen relativ kurzen Fußweg von einer Viertelstunde zu unserer neuen Unterkunft, die sich ebenfalls nördlich des Zentrums von Tirana befand.
Wir checkten ein, duschten kurz und machten uns in der angehenden Abenddämmerung auf in Richtung Stadtzentrum. Wie auch bei der Hinfahrt mit dem Bus stellten wir fest, dass der Zustand der Straßen Tiranas erstaunlich gut war. In der Nähe unseres Hotel konnte man sogar eine neugebaute Flaniermeile sehen, die allerdings in Ermangelung von dazu gehörigen Gebäuden etwas verloren zwischen den, zwar bunten, aber dennoch irgendwie eintönigen Plattenbauten wirkte und so gar nicht in das Stadtbild passte. Wir versuchten zuerst auf diese Prachtstraße zu gelangen, konnten aber Weg dorthin nicht finden und standen auf einmal inmitten von Wellblechverschlägen, bei denen wir uns nicht sicher waren ob diese illegal errichtete Wohngebäude waren. Wir gingen in die anderen Richtung und schlugen erneut den Weg ein, auf dem wir am späten Nachmittag unser Hotel gefunden hatten. Durch den Innenhof einer Plattenbausiedlung in dem die Alten in den kleinen Cafes saßen und Domino spielten und die Kinder zwischen den geparkten Autos fröhlich Fußball spielten, gelangten wir wieder auf die Straße. Hier fanden wir die Kreuzung, welche in der einen Richtung auf die neu erbaute sechsspurige Straße führte und auf der anderen Seite in Richtung des Stadtzentrums führte. Wir beschlossen uns in Richtung Zentrum bewegen, da die Gegenrichtung trotz heller Beleuchtung seltsam verlassen wirkte.
Allerdings ist der Straßenverkehr im Allgemeinen in Albanien nicht unbedingt mit deutschen Maßstäben zu vergleichen. Am Besten lässt sich dieser als anarchistisches Chaos beschreiben. Die Anzahl der Spuren variiert je nach Menge der Autos, dazwischen finden sich immer wieder Schwärme von Rollerfahrern und selbst an Zebrastreifen, wie auch an grünen Fußgängerampeln kann man sich nicht sicher sein, dass nicht doch ein Albaner gerade der Meinung ist die eigentlich geltenden Verkehrsregeln eher als Richtlinien zu bewerten. Wir gönnten uns in diesem Chaos einen Moment der Ruhe und beobachteten die Einheimischen. Bei genauer Beobachtung stellten wir fest, dass die beste Taktik, sich in diesem Gewirr fortzubewegen darin besteht, sich, egal was der umliegende Verkehr gerade treibt, einfach mit konstanten, gleich bleibendem Tempo über die Straße zu bewegen und EINFACH NICHT STEHEN ZU BLEIBEN!!
Gesagt getan. So begannen wir uns langsam in das albanische Verkehrssystem zu integrieren und waren erstaunt wie dieses geordnete Chaos doch einem bestimmten Fluss folgte und letztlich reibungslos funktionierte. Autofahren wäre für uns regelverliebte Deutsche aber nie in Frage gekommen.
Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass uns das chaotische Albanien vor gewisse Herausforderungen stellte, die sich jedoch erstaunlich leicht und mit der Hilfe der immer hilfsbereiten Albaner lösen ließen.
So verbrachten wir den ersten Abend im Zentrum Tiranas vornehmlich damit, dass wir uns durch die Stadt treiben ließen. Wir erkundeten den Skanderbeg Platz mit seinen rings herum angeordneten Gebäuden und gelangten schließlich in den Stadtteil Blokku. Hier reihen sich nette Cafes, hippe Bars und verschiedene kleine Boutiquen aneinander und man könnte fast vergessen, dass Tirana, wie ganz Albanien erst seit knapp 20 Jahren ein freies und mittlerweile sehr liberales Land ist.
Geprägt von diesen ersten Eindrücken schlenderten wir nach einem ausgiebigen Abendessen (zu einem sagenhaften Preis) langsam zurück zu unserer Unterkunft. Die Stadt hatte bei uns einen ersten, sehr positiven Eindruck hinterlassen und es sollte nicht der Letzte bleiben.
Die folgenden Tage verbrachten wir also vorwiegend damit uns durch Tirana treiben zu lassen und erkundeten dabei die verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Da das Stadtzentrum Tiranas trotz der Größe der Stadt (irgendetwas zwischen 680.000 und 1.100.000 Einwohner – so genau weiß das keiner) sehr kompakt ist und die Summe der Sehenswürdigkeiten auch nicht gerade ins unermessliche steigt, ist dies sehr gut möglich und macht Tirana zu einer wirklich entspannten Großstadt. Die meisten Sehenswürdigkeiten finden sich am bzw. in direkter Laufweite des Skanderbeg Platzes bzw. der von Nord nach Süd angelegten Hauptstraße in seiner Verlängerung. Hier sticht vor allem das Albanische Nationalmuseum mit seinem großen sozialistischen Mosaik über dem Eingang ins Auge, sowie die gegenüberliegende Oper. Etwas weiter südlich finden sich weitere kleine Museen, von denen vor allem das Bunkart 2 äußerst interessant ist. Ein Museum, in einem der vielen in Albanien befindlichen Bunker, dass sich mit der kommunistischen Geschichte und mit den Machenschaften des Regimes auseinandersetzt und bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und absolut empfehlenswert ist. Daneben finden sich diverse Regierungseinrichtungen sowie verschiedene Kirchen und Moscheen. Weiter südlich liegen noch die Villa von Enver Hoxha, dem früheren „Staatschef“ (oder eher Diktator) Albaniens sowie die Pyramide von Tirana. Diese sollte ursprünglich als Museum an das ehemalige Staatsoberhaupt nach dessen Tod 1985 erinnern, ist aber mittlerweile mehr oder weniger dem Verfall frei gegeben, da nach der Niederschlagung des Kommunismus und den Unruhen gegen Ende der Neunziger Jahre, das Erbe dieser Zeit nicht gerade hoch gehalten wird. Am südlichen Ende dieser Straße findet sich der Green Park mit seinem künstlich angelegten See. Ein schöner Platz um das Treiben der Stadt ein wenig hinter sich zu lassen.
Um dieses Stadtzentrum herum finden sich viele, durchaus gute und günstige Cafes, Restaurants und Bars sowie viele kleine Läden. Hier lässt es sich entspannt verweilen und man kann bei einem nachmittäglichen Kaffee oder dem einen oder anderen Drink am Abend durchaus die Seele baumeln lassen. Die Stadt vermittelt ein liberales und sicheres Bild, denn die Albaner sind, obwohl sie nach mitteleuropäischen Maßstäben ein sehr geringes Einkommen besitzen immer hilfsbereit und einfach nur nett. Ließe man seinen Geldbeutel auf einem Tisch liegen, würde selbiger nicht geklaut, sondern ein Albaner würde diesen einem noch hinterhertragen. So fühlten wir uns zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise unsicher, einzig die dauernd schnorrenden Roma sind manchmal ein wenig lästig. Allerdings ist das kein auf Albanien begrenztes Thema, sondern diese Situation stellt sich auf dem gesamten Balkan.
Inzwischen gibt es auch hier verschiedene Einkaufszentren, wobei sich die Frage noch aufdrängt, für wen diese geschaffen wurden, da die Preise durchaus mitteleuropäisches Niveau haben. Auffällig diesbezüglich ist auch, dass man in Tirana, wie in gesamt Albanien sehr viele deutsche Luxusautos sieht, wenn auch nicht die neuesten Modelle. Der Wunsch nach Status ist hier offensichtlich. Vielleicht das einzige Klischee, welches sich während unseres Albanienaufenthaltes bestätigt hat.
Ein wenig schwieriger als die Orientierung in Tirana war allerdings Organisation der Abreise. Da es in Albanien kein staatlich kontrolliertes Busnetz gibt und das meiste in privater Hand liegt, ist auch die Suche nach einer Busverbindung und einer entsprechenden Haltestelle ein wenig Glückssache. So fanden wir nach einigem fragen den Abfahrtsort zu unserem nächsten Reiseziel Vlora. Der Busbahnhof, wenn man ihn so nennen will, ist ein Platz ein wenig außerhalb des Stadtkerns auf dem zig Busse (meist nicht ganz die aktuellste Baureihe) stehen und einem die Fahrer ihr Ziel zurufen. Man sucht sich den Fahrer, der das gewünschte Ziel nennt und wenn der Bus eine für ihn erträgliche Passagierzahl erreicht hat, fährt dieser los. Für uns eine zunächst ungewohnte Situation, die sich aber Dank der Hilfsbereitschaft aller leicht lösen lässt. Irgendjemand spricht immer ein wenig Englisch und sobald man einen fragenden Blick aufsetzt, stehen mindestens ein bis drei Albaner um einen ein herum und versuchen zu helfen. So hatten wir auch keinerlei Probleme unseren Bus zu unserem nächsten Ziel zu erwischen und waren neugierig ob sich die Erfahrungen, die wir in Tirana gemacht hatten in ganz Albanien wiederholen würden.